Warum ist ein Karrierewechsel ohne Eskalation sozial nicht anerkannt?
Wenn ein 48-jähriger CEO und Top-Manager plötzlich alles verkauft, kündigt und ein einfaches Leben auf einer Alm führt, wird das als Art Helden-Story verkauft . Die mediale Berichterstattung beim Karrierewechsel bekannter Manager fokussiert sich dann oft auf die Kontraste zwischen altem, steilen Karrierepfad und neuem “einfachen” Leben. Je größer der Kontrast, desto interessanter die Story. Dieser Kontrast wird von Außen gerne als Fallhöhe - als sozialer Fall - wahrgenommen; ein Instrument, welches in der Dramaturgie schon immer gerne genutzt wird, um Geschichten interessanter zu machen.
Erkennt ein young professional, dass ein gewisser Karriereweg nicht der richtige ist, reagiert das Umfeld (Kollegen, Freunde, Familie und auch zukünftige Arbeitgeber) irritiert. Gleiches gilt für Personen, die vielleicht noch nicht im C-Level (höchste Führungsebene in Unternehmen; Chief-irgendwas-Officer) angekommen sind. Realisiert jemand auf dem Weg schon, dass das angestrebte Ziel doch nicht so erstrebenswert ist, wie ursprünglich gedacht, wird ein adjustieren des Karriereweges oft als Aufgabe oder Scheitern gedeutet.
An dieser Stelle stellen sich 2 Fragen:
Ist ein Karrierewechsel wirklich der Weg des sozialen Falls?
Muss es erst Eskalieren, bevor eine Richtungsänderung akzeptabel ist?
Meine Antwort zu 1.:
Es kommt auf das Umfeld an. In Kreisen mit antiquierten Weltanschauungen ist eine sichere Karriere in einem großen Unternehmen, die mit langer und strapaziöser Arbeit, sowie Entbehrungen verbunden ist immer noch das Statussymbol schlechthin (jeder handelt aus seiner besten Option, daher ist hier nichts gegen die Menschen mit diesen Denkmustern zu sagen). In anderem Umfeld sind Ziele wie Zeit, Unabhängigkeit und Gesundheit wichtiger (das gilt nicht nur für Generation Y und Z, aber das soll hier nicht Thema sein). Eine Änderung des Karrierewegs bedeutet also nicht zwingend den sozialen Fall. Auch wenn man sich auf einem von Außen betrachtet sehr guten Weg befand, kommt es schlicht darauf an, wessen Meinung wir zulassen. In einer freien Gesellschaft können wir unser Umfeld ja zum Glück frei wählen.
Meine Antwort zu 2.:
Ein neuer Karriereweg scheint für viele nur nachvollziehbar, wenn es in irgendeiner Art zur Eskalation kam. Viele tragen ein Burnout wie eine Trophäe vor sich her. Vor dem Hintergrund, dass in meinem eigenen Umfeld erschreckend viele, nun berentete Männer Herzinfarkte im Zusammenhang mit jahrzehntelangem Fokus auf eine bestimmte Karriere in Kauf genommen haben, schlage ich eine andere Sicht auf die Dinge vor!
In der Luftfahrt werden Flugschreiber (engl.: Black Boxes) dafür genutzt, durch Aufzeichnung von Daten, aus Fehlern und Unglücken zu lernen. Keine andere Branche wertet Fehler und Unglücke so intensiv und strukturiert aus. Hiervon können wir etwas lernen. Es gibt unzählige Aufzeichnungen von “Unglücken” im Zusammenhang mit festgefahrenen Karrierewegen. Aufzeichnungen in Form von Biografien, Sachbüchern, Zeitungsartikeln, Dokumentationen oder auch mündlichen Überlieferungen. Unglücke sind vor diesem Hintergrund Burnouts, Herzinfarkte, Depressionen, kaputte Familien - you name it.
Aufzeichnungen über diese Unglücke werden aber nicht so konstruktiv genutzt, wie in der Luftfahrt. Im Gegenteil: Es scheint als ob nur derjenige, dessen Karriereflugzeug irgendwann eine Turbine, eine Tragfläche oder das Fahrwerk verliert, Anerkennung und Recht dazu hat, seine Karrieren in eine andere Richtung zu lenken. Überspitzt gesagt: Erst wenn ich CEO eines Konzerns war und einen arbeitsbedingten, lebensbedrohlichen Herzinfarkt hatte, ist es für unsere Gesellschaft nachvollziehbar, dass ich diesen Weg nicht weiter gehe. Muss ich wirklich CEO gewesen sein und meinen Körper komplett gegen die Wand fahren, um neue Wege zu gehen? Ich denke nicht. Lasst uns die Flugschreiber unserer Vorgänger nutzen. Lasst uns aus den Fehlern alter Flugzeuge lernen!
Wenn Flugzeugbauer trotz eindeutiger Flugschreiberdaten immer wieder undichte Leitungen verbauen würden, würden wir alle an ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Es muss also nicht zur Eskalation kommen, bevor ein Karrierewechsel akzeptabel ist. Jemand der sein Zielsystem und seine Fähigkeiten kennt und aus den Black Boxes seiner Vorgänger lernt, mach etwas richtig. Wir feiern ja auch nicht die Flugzeugtypen, die ständig vom Himmel fallen, sondern solche, die zuverlässig in der Luft bleiben. Zuverlässig, weil sie durch die Unglücke ihrer Vorgänger optimiert unterwegs sind.
Zusammengefasst: Ein Karrierewechsel bedeutet nicht den sozialen Abstieg. Er ist ein Indikator, ob dein soziales Umfeld in deinen Zieldimensionen denkt. Es muss nicht erst zur Eskalation (in Form von hoher hierarchischer Stellung und körperlichen und seelischen Ausfallerscheinungen) kommen, um akzeptierte, neue Wege einzuschlagen. Wenn wir einen neuen Blickwinkel einnehmen, sind diejenigen effektiver unterwegs, die den Karren nicht erst an die Wand fahren, um zu merken, dass etwas nicht richtig läuft.
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