Auf Reisen bin ich in den letzten Wochen an vielen Schlagzeilen in Zeitungen, dem Fernsehen und dem Internet vorbeigekommen. Ich habe mich gefragt: Wird die Relevanz und Glaubwürdigkeit von Informationen durch eine Publikationspflicht unterwandert? Ist es wirklich berichtenswert oder berichte ich, weil ich berichten muss?
Wenn auf der Titelseite einer Zeitung steht “Der 2. Weltkrieg ist ausgebrochen”, kann nicht eine Woche später an selber Stelle über die Mückenplage am Ammersee berichtet werden. Alarmglocken sollten nur dann genutzt werden, wenn Sie wirklich notwendig sind.
Für mich ist bei vielen Tageszeitungen nicht erkenntlich, ob sich über die Relevanz der Nachrichten Gedanken gemacht wird (wären sonst Zeitungstitel wie “Unbekannter reißt Zweige von Strauch ab” in fetter Schriftgröße 87 möglich?). Aber ich möchte keinem Journalisten unterstellen, dass er sich aus Faulheit keine Gedanken darüber macht, ob die Informationen wirklich das Papier wert sind auf dem sie gedruckt werden. Ich glaube vielmehr, dass es sich hier um eine klassische Dilemma-Situation handelt. Journalisten und Nachrichtenstationen werden dafür bezahlt jeden Tag (oder in anderem Zyklus) etwas zu veröffentlichen. Gibt es nichts Relevantes zu berichten, müssen sie wählen zwischen:
Ich veröffentliche irrelevante Informationen aber erfülle meinen Vertrag
Ich veröffentliche nichts und verletzte damit meine vertraglichen Pflichten
Warum ist mir dieses Dilemma der Publikationspflicht überhaupt der Rede wert? Weil wir es aus dem Journalismus auch auf unser persönliches und geschäftliches Umfeld ausweiten können:
Im geschäftlichen Umfeld werden Informationen meist über Reports an das Management gesteuert (quasi die “Management-Zeitung”). Vor dem Hintergrund des Publikationsdilemmas dürfen wir uns fragen:
Ist der Zyklus des Reportings wirklich angebracht für die Flugebene meines Adressaten? Ein Vorstand der an “Der 2. Weltkrieg ist ausgebrochen”-News interessiert ist, muss nicht stündlich über den Wasserstand der Büropflanzen informiert werden. Wir können uns von einigen Berichtszyklen (und somit der Publikationspflicht) befreien, wenn wir die notwendige Relevanzschwelle von Informationen genau definieren.
Ist der Sachverhalt wirklich eine rote Ampel/Flagge wert? In Phasen, in denen das Geschäft oder Projekte ruhig und sicher laufen, dürfen wir uns trauen auch wenig auf “Seite 1” zu berichten. “Der Status ist grün. Das Projekt verläuft planmäßig” reicht völlig aus. Sind weitere Informationen gewünscht, kann nachgefragt werden. Gute Entscheider wissen diese Prägnanz zu schätzen.
Auch im privaten Umfeld dürfen wir uns überlegen in welcher Art wir Informationen weiter geben:
Muss ich wirklich mit Mord und Totschlag drohen, nur weil der Nachbar das Treppenhaus nicht gekehrt hat? Ist es wirklich notwendig meiner Freundin eine Szene zu machen, oder ist es eigentlich eine Lappalie und ich habe lediglich das Gefühl das zu lange nichts mehr passiert ist? Ist es wirklich eine zwischenmenschliche rote Ampel wert, nur weil jemand meinen Geburtstag vergessen hat?
Bevor wir eine rote Flagge oder Ampel aufzeigen, dürfen wir uns 2 Fragen stellen:
Ist meine Information Ebenen-gerecht? Also ist der Sachverhalt für meinen Adressaten eine Seite-1-Schlagzeile oder eher unter “Sonstiges” zu verbuchen?
Ist der Informationsumfang angebracht? Muss ich die Information aus-detaillieren (was große Wichtigkeit impliziert) oder reicht eine kurze Darstellung? Dogmatisch definierter Umfang von Informationen führt meiner Meinung nach zu vielen irrelevanten Aussagen. Wenn ich z.B. festlege, dass die Tagesschau immer 15 Minuten zu dauern hat und eine Masterthesis aus mindestens 25.000 Wörtern bestehen muss, dann muss ich damit rechnen, dass hier gegebenenfalls viele Bedeutungslosigkeiten publiziert werden. Es wird viel “noise” (zu deutsch “Rauschen” - Beiträge mit wenig Informationsgehalt) produziert - also Lärm, der uns von der eigentlichen Melodie ablenkt.
In ruhigen Zeiten, dürfen wir die Ruhe einfach genießen. Künstlich für Aufregung zu sorgen (ob privat oder geschäftlich) bindet unsere Aufmerksamkeit unnötigerweise. In Zeiten echter Aufregung, könnten wir die Energie wieder gut gebrauchen.
Ein tolles Beispiel für den richtigen Umgang mit der Publikationspflicht sind Telefonate zwischen meinem Vater und seinem besten Freund. Man hat sich nonverbal darauf geeinigt, dass man sich in bestimmten Abständen nach dem Wohl des Anderen erkundigt (wenn man so will eine Publikationspflicht über den Gemütszustand). In Zeiten in denen alles gut ist, dauern die Telefonate im Schnitt 21 Sekunden und lauten wie folgt (Gedächtnisprotokoll):
“Und… alles gut bei dir?”
“Jo, und bei dir?”
“Auch”
“Na dann bis bald”
Keine roten Ampeln wo keine hingehören; keine fetten Überschriften, keine unnötigen Details - kein noise. Wenn wirklich mal Not am Mann ist, muss nicht erst hinterfragt werden, ob die Information tatsächlich relevant ist. Echte Alarmsignale werden sofort erkannt.
Zusammengefasst: Lasst uns Alarmglocken im Journalismus, im Privaten, sowie im Geschäftlichen nicht inflationär benutzen, sondern sie für die wirklich wichtigen Dinge aufheben. Das vereinfacht unser Miteinander und beruhigt uns individuell.
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