Bist du schonmal auf einer Feier gewesen und hast dir gewünscht, den Absprung früher geschafft zu haben?
Hast du schonmal in einem Vortrag oder einer Schulung gesessen, in der der Dozent nicht zum Punkt kam und es unklar war, wie lange es noch gehen würde?
Schonmal in einer Abschiedssituation gewesen, die seltsam und unbeholfen ablief?
"So, jetzt wird es langsam Zeit zu gehen!" sagt der Gast. 20 Minuten später steht er immer noch im Türrahmen und ist am erzählen.
Wenn du das kennst: Willkommen im Club! Lass uns über einen guten Abgang nachdenken.
Für mich gibt es wenig eindrucksvolleres, als einen eleganten Abgang und ein gelungenes Ende. Ich empfinde würdevolle und geschickte Verabschiedungen als Königsklasse in der menschlichen Interaktion - wahrscheinlich, weil es mir selber nur selten gelingt.
Der Abgang macht den entscheidenden Unterschied. Nehmen wir zum Beispiel Konzerte. Bei Amateur-Konzerten sieht das Ende häufig so aus: Unkoordiniertes Verbeugungen, beschämtes Grinsen in den Gesichtern und Ratlosigkeit in Bezug auf die Zugabe. Nach dem 20-minütigen Versuch einen guten Abgang hinzulegen, geht es dann erst richtig los: "Ich danke meiner Oma für das Nähen meiner Hose, meiner Nachbarin Frau Reinekirchen für …". Kurz: Es tut fast weh dabei zuzusehen.
Profis wissen um die Wichtigkeit des Abritts. Nach dem Applaus einer atemberaubenden Show, verbeugen sich die Musiker. Direkt danach kommt der energetische, selbstbewusste und koordinierte Abgang von der Bühne. Fordert das Publikum eine Zugabe, kommt diese - denn sie wurde vorher geplant. Zu keinem Moment steht irgendjemand ahnungsloses auf der Bühne rum. Nach der Zugabe: erneute Verbeugung; Band winkt dem Publikum; Vorhang fällt. Bäm! Das wars.
Beispiel für ein gelungenes Ende einer Show gefällig? Adele macht's vor:
Mit einem selbstbewussten und durchdachten Schluss machen wir uns vom Amateur zum Profi. Friedrich Schiller trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er sagt "Ein guter Abgang ziert die Übung."
Wenn dir das bis hierhin zu Abstrakt war, lass uns überlegen, warum ein starker Abtritt relevant für dich ist:
Es lässt dich professioneller wirken
Wenn der Abschied durchdacht ist zeigst du, dass du dir vollumfänglich Gedanken gemacht hast. Am Ende wird nochmal deutlich, wie genau man seine Aufgabe verstanden hat. Weiß jemand ganz genau wozu er angetreten ist, weiß er auch ganz genau, wann sein Dienst getan ist. Deine Zielklarheit wird durch einen guten Endpunkt bestärkt.
Du kannst dein Thema abzurunden
Ein toller Abschluss ist die Kirsche auf der Sahnetorte - das Tüpfelchen auf dem i. Der letzte Satz kann deinen Vortrag z. B. von einem tollen zu einem außergewöhnlich tollen machen. Der Rausschmeißer macht ein Konzert von klasse zu atemberaubend. Und eine intensive Unterhaltung kannst du mit einem gut gewählten letzten Satz unvergesslich machen. Ein bewusstes Ende ist die Zutat, mit der du einer Situation die letzte Abrundung gibt.
Du zeigst den Beteiligten Wertschätzung
Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch, wie Thomas Gottschalk bei "Wetten Dass?" nie zum Punkt kam. Nachfolgende Sendungen verzögerten sich um mehrere Stunden und die Sendung wirkte oft strukturlos und improvisiert. Mich hat das schon als Kind wild gemacht - aber vielleicht bin ich da alleine…
Wenn Menschen merken, dass du dir etwas wohl überlegt hast, teilen sie ihre Zeit gerne mit dir. Das liegt daran, dass du zeigst, dass du dir Gedanken gemacht hast und sie nicht deiner Willkür ausgesetzt sind. Wenn du Beteiligte wissen lässt, wann und wie der Abschluss von etwas sein wird, erzeugst du Sicherheit. Das kann ganz explizit in einer Agenda oder einem Programmheft stehen, oder implizit aus der Erfahrung in der Interaktion mit dir gelernt sein. Wertschätzend ist ein klarer Schlussstrich, weil ich Berechenbarkeit erzeuge, die im Grunde die Lebenszeit der anderen respektiert. Ein durchdachtes Ende zollt deinem Umfeld den Respekt, den es verdient.
Der letzte Eindruck bleibt
In der Psychologie ist der "Primacy-Recency-Effect" bekannt. Hierhinter Steckt das Phänomen, dass unser Hirn Erlebtes unterschiedlich gewichtet. Basierend auf dem ersten Eindruck - den ersten paar Sekunden - entscheiden wir, ob wir etwas überhaupt interessant finden. Das ist der Primäreffekt. Der Rezenseffekt erklärt, dass wir Menschen die jüngsten Informationen, also die, die zum Schluss eingehen, bevorzugt behandeln. Unser Gedächtnis entscheidet einfach, dass die später aufgenommenen Information wichtiger sind und in den Langzeitspeicher dürfen. Kurz gesagt: Der erste Eindruck zählt, der letzte Eindruck bleibt. Mit einem fulminanten Ende bleibst du deinem Umfeld positiv in Erinnerung, (fast) egal, was zwischendurch passiert ist.
Disziplin für einen guten Abgang scheint vielen schwerzufallen, wahrscheinlich weil es im Kern etwas mit Verlassen und Zurücklassen von Mitmenschen zu tun hat. Etwas, das uns als soziales Wesen nicht leicht fällt. Das alle hiermit zu tun haben, sehen wir bei wichtigen Politikern und Prominenten auf öffentlichen Veranstaltungen. Hier haben Assistenten die Aufgabe, das "Tschüss" zu übernehmen. Auf dem roten Teppich schieben diese die Promis dann quasi voran. "Sorry der Präsident hat jetzt keine Zeit mehr". Wäre der Abbruch von Interaktion - also der Abgang - so leicht, bräuchten die Stars diese Hilfe wahrscheinlich nicht. Wir sind also in guter Gesellschaft.
Um einen guten Abgang hinzulegen, dürfen wir uns über zwei Dinge Gedanken machen:
Wissen wann Schluss ist
Das gilt im Großen, wie z. B. für die Karriere oder Lebensabschnitte und auch im Kleinen, wie z. B. für Projekte, Besprechungen oder Familienfeiern. Ich hoffe, dass ich früh genug erkenne, wenn ich im Beruf keinen Wertbeitrag mehr leiste. Ich möchte in Würde die geschäftliche Bühne verlassen.
Um zu wissen wann Schluss ist, können wir konkrete Überlegungen anstellen. Wir können auf der einen Seite einen Zeitraum definieren. Kaffee und Kuchen mit der Familie ist am Sonntag von 14:00-16:00 Uhr. Genauso klar wie die Startzeit kann auch die Endzeit sein, um ungelenkes Abwarten zu vermeiden.
Auf der anderen Seite können bestimmte Ergebnisse oder Ereignisse das Ende von etwas definieren. In einer geschäftlichen Besprechung kann das Ziel z. B. sein, eine bestimmte Entscheidung zu treffen. Ist diese getroffen, ist das Meeting vorbei.
Das hört sich unglaublich banal an - ich weiß. In der Realität sind Endlos-Meetings in Firmen und nie enden-wollende Kaffeekränzchen mit der Familie jedoch häufig anzutreffen.
Wissen, wie man gehen will
Wie wir etwas beenden, können wir im Vorhinein planen. Hier können wir uns mit der Art und Weise und dem Inhalt befassen.
Um die richtige Art und Weise des "Auf Wiedersehen" zu finden, dürfen wir uns überlegen, welches Gefühl wir bei den Beteiligten hinterlassen wollen. Dementsprechend kann unsere Wortwahl und unser Verhalten mehr oder weniger einfühlsam, schnell und energetisch sein.
Es ist weniger wichtig, was konkret passiert, sondern das wir uns Gedanken darüber machen, was genau zum Schluss passieren wird. Das kann z. B. eine Zusammenfassung am Ende eines Meetings sein oder bei einem Fußballspiel die Runde, die die Mannschaft nach Abpfiff durchs Stadion macht. Wichtig ist, dass wir selber eine Idee davon haben, wie wir gehen wollen. Es ist erfrischend, wenn jemand am Ende genau weiß, wie er sich verabschiedet.
Wie endet man einen Beitrag über gute Abschlüsse? Mit einer Weisheit:
Wer den Abschied nicht scheut, der wird mit Abenteuer, Erfahrungen und einem reichen Leben belohnt.
Essenz: Der letzte Eindruck bleibt und daher lohnt es sich an ihm zu arbeiten. Ein guter Abgang lässt uns professioneller wirken, rundet unsere Themen ab und zeigt unserem Umfeld Wertschätzung. Mit einem selbstbewussten und durchdachten Schluss machen wir uns vom Amateur zum Profi. Zu Wissen, wann und wie man gehen sollte, hängt damit zusammen, zu wissen wozu man angetreten ist. Am Ende machen wir also nochmal deutlich, wie genau wir unsere Aufgabe verstanden haben
Welche Menschen legen einen guten Abgang hin? Wie machen sie das?
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