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Das sieht ja einfach aus!

Aktualisiert: 13. Dez. 2023

Einfachheit ist das Resultat der Reife - Friedrich Schiller


Nach einem meiner 5-tägigen Seminare für IT-Projektmanagement kam ein Teilnehmer auf mich zu und gab mir folgendes Feedback: "Du hast das ja richtig spielerisch gemacht. Ist ja im Grunde auch ganz einfach, was du hier tust!“


Ich war baff und mein erster Impuls war Verärgerung. Wie konnte er so etwas sagen? Ein Training auf dem Niveau halten zu können, bedeutet intensive Vorbereitung, tiefes Fachwissen und tausende Stunden Praxis- und Trainingserfahrung. Kurz: Ich war in meiner Ehre gekränkt. Ein paar Tage später habe ich die Situation mit etwas Abstand anders verstehen können. Genauer betrachtet, war sein Feedback ein Ritterschlag. Echtes Können sieht nämlich oft kinderleicht aus.


Leichte Dinge einfach wirken zu lassen ist natürlich kein Problem. Ich möchte hier die komplizierten und komplexen Sachverhalte beleuchten, in denen jemand scheinbar mühelos agiert. Etwas meisterlich zu beherrschen, erfordert detaillierte Einarbeitung und disziplinierte Vorbereitung.


Sehen wir Akrobaten im Zirkus, die im Handstand auf einem Hochseil balancieren, wirkt ihre Darbietung leicht und mühelos auf uns. Kommt man dann nach Hause und versucht auch nur im Handstand zu stehen, wird einem klar, was es eigentlich bedeutet, diese Leistung abzurufen.


Dasselbe gilt für Weltklassemusiker, die ganze Konzerte auswendig und scheinbar spielerisch vortragen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, wie ernüchternd und augenöffnend es ist, dann dasselbe Programm nachspielen zu wollen.[1]


Zu dieser Erkenntnis gibt es eine treffende Geschichte von Pablo Picasso:

Als der berühmte Künstler in einem Pariser Café saß, näherte sich ein Kunstkenner und Bewunderer seiner Arbeit. Nach schüchterner Annäherung, fragte er Picasso, ober dieser ihm eine kleine Skizze auf eine der auf dem Tisch liegenden Servietten zeichnen könnte. Picasso war einverstanden und zeichnete eine seiner abstrakten Figuren. Als er die Servietten-Skizze mit samt Unterschrift übergab, nannte er eine hohe Geldsumme als Honorar. Der Fan war verwundert: „Wie können sie so viel Geld dafür verlangen? Das ist für sie doch ein Leichtes gewesen. Sie haben doch nur eine Minute gebraucht!“. Picasso soll geantwortet haben: „Nein, hierfür habe ich 40 Jahre gebraucht!“.


Die Moral dieser Geschichte soll nicht sein, dass wir alle alt sein müssen und unsere Arbeit erst nach 40 Jahren Erfahrung etwas wert ist. Vielmehr zeigt sich, wie einfach etwas von außen wirken kann, was im Kern mit disziplinierter Hingebung verbunden ist. Um es klarer zu formulieren: Nur dadurch, dass Picasso abertausende von Skizzen in seiner Karriere angefertigt hatte, konnte er diese eine mit scheinbarer Leichtigkeit zeichnen.


Sind wir als Privatkunde unterwegs, wünschen wir uns in der Regel Dienstleister, die ihre Tätigkeit genauso souverän ausüben. Habe ich einen Motorschaden am Auto, ziehe ich die KFZ-Werkstatt vor, in der ein Team arbeitet, dem jedes Problem an meinem Wagen als Kleinigkeit erscheint, die einfach zu reparieren ist. Zu einem Herzchirurgen gehe ich dann gerne, wenn es wirkt, als wäre sie für das Operieren von Herzen geboren. Aus Kundensicht beruhigt uns also eine gewisse Leichtigkeit auf Dienstleisterseite. Wir dürfen uns jedenfalls bewusst sein, dass hinter Leichtigkeit meist Erfahrung, Vorbereitung und Disziplin steckt. Anders gesagt: Wirklich gut in etwas zu sein, gibt einem die Möglichkeit der Leichtigkeit.


Wollen wir kompetenter auf andere wirken, ist es genau diese Leichtigkeit, die wir ausstrahlen dürfen. Unterbewusst nehmen wir Menschen als kompetenter wahr, denen die Dinge scheinbar mühelos von der Hand gehen; denen Talent für eine bestimmte Sache in die Wiege gelegt wurde. Der Zusammenhang ist folgender: Je geringer der wahrgenommene Aufwand bei immer komplizierter werdenden Aufgaben, desto höher die Kompetenzzuschreibung.[2] Es darf also sehr leicht aussehen, um sehr kompetent wahrgenommen zu werden.


Eine wichtige Unterscheidung noch: Es geht nicht darum, tatenlos zu wirken, sondern mühelos. Wir dürfen aktiv und tatkräftig unterwegs sein und energiegeladen unsere Ziele umsetzen und dabei gleichzeitig wirken, also ob uns dieses Streben leichtfällt.


Um es paradox auf den Punkt zu bringen: Es geht um mühelose Anstrengung.

Sicherlich ist jeder von uns mit einer gewissen Geworfenheit, mit bestimmten Talenten ausgestattet, diese gilt es dann auszubauen und zu entwickeln, bis das, was wir tun, einfach aussieht.


Das nächste Mal, wenn du dir denkst "Das sieht ja einfach aus - das kann ich auch!", hast du im Zweifel einen echten Experten vor dir.


Essenz: Es ist ein Level an Fähigkeiten und Expertise erstrebenswert, bei dem unsere Handlungen mühelos erscheinen und sich im Bestfall auch so anfühlen. Wir schauen gerne Menschen zu, denen die Dinge leicht von der Hand gehen. Das Leben darf sich leicht anfühlen.





[1] Wer musikalisch etwas versiert ist und diese Erfahrung nachempfinden möchte, dem empfehle ich, sich ein Live-Konzert von Mnozil Brass anzuschauen und hierbei den Fokus auf die Performance von Thomas Gansch zu richten. [2] Jones, E. E. (1989). The framing of competence. Personality and Social Psychology Bulletin, 15(4), 477–492.

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