Welches Wasser?
- axeljaniec
- 10. Nov. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Ein alter Fisch schwimmt an einem jungen Fisch vorbei, nickt ihm zu und fragt: "Und, wie ist das Wasser?"
Daraufhin fragt der junge Fisch: "Welches Wasser?"
Als Trainer darf ich für eine kurze Zeit tief in Organisationen und Teams gucken. Nach Seminaren trage ich oft einen Gedanken mit mir: Für die meisten Teams scheint es selbstverständlich zu sein, dass die Dinge bei ihnen sind, wie sie sind. Sie nehmen es einfach hin.
Für Teams mit sehr konstruktiver Dynamik ist es absolut logisch, schnell zu produktiven Ergebnissen zu kommen. Für Teams mit dysfunktionalen Mustern ist es völlig normal, dass mit passiv-aggressiver Abwehrhaltung zunächst alles abgeblockt wird.
Übertreibung dient hier der Verdeutlichung.
Falls du dich fragst, woran ich das festmache: Die Menschen sagen es.
"Das läuft bei uns immer so"
"Ich habe das in meiner Karriere noch nie anders erlebt"
"Unser Chef/Prozess/Team/Kantinenessen ist halt so"
Keine Angst: Ich tue jetzt nicht so, als wäre ich der alte, weise Fisch. Ich bin weder das eine noch das andere. Mir geht es um den Kern der Aussage:
Die allgegenwärtigen, wichtigsten Tatsachen sind für uns oft unsichtbar und schwer zu diskutieren.
Der junge Fisch weiß überhaupt nicht, dass es Wasser gibt. In Teams ist das Wasser z.B.: Entscheidungswege, Kommunikationskultur oder die Leistungsbereitschaft.
Das respektvolle Zuhören und Verstehenwollen scheint gottgegeben
Die passive Erwartungshaltung bleibt unangezweifelt
Die schnelle Lösungsfindung: Einfach da … und daher unsichtbar
Ich meine hier weniger Betriebsblindheit, die eher auf einzelne Abläufe und routinemäßige Arbeiten im Produktionsprozess abzielt. Hier ist mehr gemeint: Das Milieu, in welches die Betriebsabläufe gebettet sind; Die Haltung, mit der Kollegen zur Arbeit erscheinen; Der Qualitätsanspruch im Team.
Ursula, 59 Jahre alt, seit 30 Jahren Beamtin im Katasteramt Düsseldorf, sagt: "Das habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nie anders gesehen als so, wie wir es jetzt machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir hier etwas verändern müssen". Sie ist der Fisch, der nach dem Hinterfragen der eigenen Lebensrealität fragt: "Welches Wasser?".
Wie das Wasser um jeden von uns herum aussieht, kommt stark auf den Kontext an. Was von außen nach völliger Sinnlosigkeit aussieht, macht im jeweiligen Kontext jedoch Sinn (so oder so ähnlich würde man es in der Systemtheorie sagen). Konkreter ausgedrückt: Der umständliche Prozess erfüllt irgendeinen so großen Nutzen, dass er unterm Strich im Unternehmen Sinn macht. Es geht also nicht darum, die Lebensrealitäten (für den Fisch: das Wasser) anderer zu verurteilen. Es geht darum, sich der Handlungs- und Denkmuster bewusst zu werden.
Was unterscheidet den alten vom jungen Fisch? Vielleicht, dass der Alte schonmal an Land gespült wurde oder über die Wasseroberfläche gesprungen ist. Er ist sich des Wassers dadurch erst bewusst.
Der Punkt, auf den ich hinausmöchte: Wir dürfen uns bewusstwerden, dass wir in bestimmten Handlungs- und Denkmustern unterwegs sind. Diese sind spezifisch für uns und unseren Kontext. Wir dürfen erkennen, dass diese Muster und Restriktionen nicht für alle gelten. Mitglieder in schwachen Teams können sich häufig gar nicht vorstellen, dass es Höchstleistungsteams gibt, geschweige denn, wie die Stimmung und die Abläufe in solchen Teams sind. Dadurch verschließen sie sich unterbewusst selbst vor Handlungsmöglichkeiten.
Wir können zwei konkrete Dinge tun, um die Muster zu erkennen, in denen wir leben:
Rechts ranfahren: Auf der Autobahn des (Arbeits-) Alltags immer mal wieder an die Seite fahren, um zu beobachten, was da eigentlich gerade passiert.
Raus aus dem System: Auszeiten nehmen, um andere Realitäten kennenzulernen. Mal den Hubschrauber nehmen oder zu Fuß gehen, wenn ich sonst nur Auto fahre. Im Unternehmen reicht es auch schon, mal in einer anderen Abteilung zu hospitieren. Eine andere Realität erfahren zu haben eröffnet uns für immer diesen Optionenraum.
Essenz: Die allgegenwärtigen, offensichtlichen Tatsachen sind für uns oft unsichtbar und daher schwer zu diskutieren. Wir dürfen uns bewusstwerden, dass wir in bestimmten Handlungs- und Denkmustern unterwegs sind. Diese sind spezifisch für uns und unseren Lebenskontext. Wir dürfen erkennen, dass diese Muster und Restriktionen nicht für alle anderen gleichermaßen gelten. Um die Muster zu erkennen, in denen wir leben, können wir aktiv in die Beobachtung gehen oder bewusst Auszeiten nehmen. Denn nur, wenn wir unsere Denk- und Handlungsmuster erkennen, können wir sie auch bewusst für uns nutzen.
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